Künstlerresidenz „Ermitage“ & Tanzkreation „Carmen“

Die kulturellen Aktivitäten des Cube 521 können, dank der Unterstützung der Gemeinde Clerf und des Kulturministeriums, ab der Spielzeit 22/23 mit der Künstlerresidenz Ermitage in Clerf um eine Dimension erweitert werden. Ziel ist es, in jeder Spielzeit den Fokus auf eine künstlerische Disziplin (Tanz, Musik, Theater, Kunst, Literatur) zu legen und somit den kreativen Prozess Kulturschaffender zu fördern.

In der aktuellen Spielzeit legen wir den Fokus auf die Sparte Tanz. In diesem Rahmen konnten vier Gasttänzer (international bekannte Ballett-Stars der Ukrainischen Nationaloper Kyiv) im Juli und August in Clerf beherbergt werden. Während drei Wochen arbeiteten die Tänzer im Cube 521 an der Tanzproduktion Carmen, die am 25. Februar 2023 im Cube 521 uraufgeführt wird. 

Die Koproduktion entsteht in Zusammenarbeit mit der rezent ins Leben gerufenen luxemburgischen Tanzcompagnie „Luxembourg Ballet“, des regionalen Kulturzentrums opderschmelz aus Düdelingen und des Cube 521. Wir baten die Choreografin Volha Kastsel (Luxembourg Ballet) und die Gasttänzer (Artem Shoshyn, Nathalia Matsak und Oleksii Busko) um ein kurzes Interview.

Sie inszenieren im Februar 2023 die Koproduktion Carmen, dessen Grundlage in Prosper Mérimée‘s Novelle liegt. Frau Kastsel wie kam es zu der Idee sich dieser Geschichte anzunehmen?
V.K. Die Idee Carmen in einer neuen Interpretation zu inszenieren begleitet mich bereits seit der Geburt von Luxembourg Ballet. Es ist ein bemerkenswertes Kulturerbe, welches in unterschiedlichen Ausdrucksformen für uns heute von zwei Kolossen unserer Kulturgeschichte konserviert wurde. Sowohl Mérimée‘s Novelle als auch Bizet’s Oper sind zweifellos Juwelen der Romanik. Die Frage ist warum. In unserer Interpretation möchte ich mich der Antwort widmen. In Carmen geht es nicht nur um die Femme Fatale. Es geht um Liebe – der aufrichtigen, unerschütterlichen und unauslöschbaren Liebe eines jungen Mannes. Mérimée hat selbst sein ganzes Leben lang vergeblich danach gesucht und hat diese Sehnsucht meisterhaft für uns eingefangen. Das macht das Werk für uns aus heutiger künstlerischer Sicht greifbar, denn diese Sehnsucht ist zeitlos.

Welche Schritte durchläuft der Kreationsprozess und wie lange dauert die Probezeit für eine Produktion dieser Art?
V.K. Man sagt häufig, der künstlerische Prozess durchläuft keinen genauen Algorithmus. Das stimmt so nicht ganz. Ich beginne mit genauem Studieren des literarischen Materials. Ich muss die Doktrinen, Dogmen und Weltanschauungen der Epoche, in der das Werk entstand, ganz genau kennen, sowie die Art und Weise wie diese sozialen Normen andere Ausdrucksformen dieser Epoche prägten. Das ist nicht nur in der bildenden Kunst der jeweiligen Epoche sichtbar, sondern auch im Tanz. Man analysiert epochenübergreifend, zieht Parallelen zur heutigen Zeit, versucht gesellschaftliche Phänomene zu erklären. Damit hat man den notwendigen Grundriss des Stücks, welcher anschließend mit künstlerischen Inhalten gefüllt wird. Die Proben eines Stückes von der Größenordnung von Carmen bedeuten mindestens 8 Wochen intensive Arbeit mit den Tänzern und Musikern unter der Leitung des Dirigenten.

Luxembourg Ballet ist rezent gegründet worden und hat sich im Norden Luxemburgs niedergelassen. Was zeichnet die Kreationen von Luxembourg Ballet besonders aus?
V.K. Carmen ist ein wunderbares Beispiel für unsere Inspirationsquellen. Es ist das literarische, musikalische, dramatische aber auch das materielle Kulturerbe, wo wir die Weisheit und Schönheit finden, die heutzutage so notwendig ist. Luxemburg ist sehr reich an Kulturerbe und das ist unsere wichtigste Ressource. Kunst hat die Aufgabe, das was im Leben Sinn stiftet, das was die Wissenschaft nicht erklären kann, greifbar zu machen. Luxembourg Ballet ist sich dieser Aufgabe bewusst. Häufig bringen wir prominente Balletttänzer aus dem Ausland mit unseren Tänzern zusammen. Wir haben dabei eine sehr schöne Mischung zeitgenössischer und klassischer Tanzstile finden können, die sich gegenseitig nicht nur ästhetisch, sondern auch erzählerisch ergänzen. Diese Mischung macht unsere Übersetzung von historischen Werken in die heutige Zeit noch authentischer.

Warum sollte man Carmen unbedingt sehen?
V.K. Zum einen ist es eine neue Inszenierung, die nicht Carmen, sondern der in Carmen unsterblich verliebte Jose ins Zentrum rückt. Ich denke, dass viele sich mit Jose identifizieren werden. Zum anderen ist es die Mischung aus Tanz und Livemusik. Wir haben auch prominente Gastkünstler aus der Nationaloper der Ukraine und dem Kyiv Modern Ballet. Darunter ist die weltberühmte Primaballerina Natalia Matsak, die in der Rolle von Carmen bereits viele Herzen erobert hat. Mit anderen Worten, es gibt vieles zu entdecken und man sollte das Stück nicht verpassen.

In Rahmen der Künstlerresidenz konnten Sie im Juli und August während 4 Wochen in Clerf residieren. Was hat Ihnen besonders gefallen?
Artem Shoshyn (Honored artist of Ukraine. Solotänzer und Choreograph des Kyiv Modern Ballet.)
Ich reise oft und arbeite mit verschiedenen europäischen Theatern zusammen. Meistens muss ich in Hotels wohnen, aber Clerf ist anders als alle Orte, an denen ich bisher gewesen bin. Ich liebte es, mich als Teil dieser Familienstadt zu fühlen. Die Menschen in Clerf sind einfach herrlich, freundlich und hilfsbereit. Die Natur ist wie im Märchen und die Architektur ein Meisterwerk. Ich bin verliebt in diese Stadt! 

Natalia Matsak (Honored artist of Ukraine. Primaballerina der Nationaloper der Ukraine, arbeitete an renommierten Opernhäusern wie dem japanischen Nationaltheater und dem Mikhailovsky Theater.)
Clerf ist eine außergewöhnliche Stadt mit erstaunlich schöner Bauart und es war sehr interessant und ungewöhnlich für uns, an einem so malerischen Ort zu leben.

Mit „Carmen“ entsteht ein kultureller Brückenschlag zwischen in der Ukraine ansässigen Tanzschaffenden, internationalen Tänzern die sich in Luxemburg niedergelassen haben und luxemburgischen Kulturschaffenden. Wie empfinden sie diese internationale kulturelle Zusammenarbeit?
N.M. Wir sind zuversichtlich, dass die Vorstellung einzigartig wird. Was der Choreografin unbegrenzten kreativen Raum bietet sind die verschiedenen Tanzstile von Künstlern auf hohem professionellem Niveau und mit umfangreicher Erfahrung.

Oleksii Busko, (Solotänzer der Nationaloper der Ukraine, Dozent der Staatlichen Ballettschule Kyiv)
Das Cube ist ein sehr interessantes Theater, atmosphärisch und technisch nach höchsten Standards ausgestattet. Ich bin von den Gastgebern sehr angetan, sie sind sehr herzlich und das Ambiente ist sehr einladend. Wenn man bedenkt, was in der Ukraine passiert, ist diese Art der Zusammenarbeit ein sehr großes Privileg! Ich hoffe, dass das Produkt dieser gemeinsamen kreativen Bemühungen ein langes buntes Leben führen wird.